Zeitungsartikel
Am Samstag, 14.11. 2009, zeigt SPIEGEL TV im Rahmen
der großen Samstagsdokumentation „Unter Verschluss – Die geheimen Schicksale der DDR-Frauen“:
Eingesperrt um frei zu sein –
das geheime Frauengefängnis der DDR
20:15 bis 22:15 Uhr auf VOX
Ein Film von Susanne Gerecke und KSiering
Sieben Meter hohe Mauern, eiskalte Zellen und sadistische Wärterinnen: Das Frauengefängnis Hoheneck im Erzgebirge gehört zu den dunklen Geheimnissen der DDR. In der 700 Jahre alten Burg verbüßten kriminelle Straftäterinnen, aber auch politische Gefangene langjährige Strafen. Die Haftbedingungen waren katastrophal, zahlreiche Insassinnen begingen Selbstmord.
Was genau sich hinter den dicken Mauern abspielte, drang nicht an die Öffentlichkeit. Auf keiner Landkarte war das 55.000 Quadratmeter große Areal verzeichnet. Alles, was dort geschah, ist ausschließlich in geheimen Akten festgehalten worden.
Die SPIEGEL TV Autoren Susanne Gerecke und Kay Siering haben monatelang recherchiert, um die Wahrheit über Hoheneck herauszufinden.
Exklusiv-Interviews mit ehemaligen Häftlingen verdeutlichen die Hoffnungslosigkeit der Insassinnen. Erstmals äußern sich auch frühere Aufseherinnen zu den Geschehnissen in der Burg. Bisher unveröffentlichte Archivbilder zeigen das Innenleben der Gefängnisfestung.
Es ist der 19. Februar 1977, kurz nach 22 Uhr, als für Eva-Maria Neumann die Welt zusammenbricht. Eingepfercht im Kofferraum einer Mercedes-Limousine will sie gemeinsam mit ihrem Mann Rudolph und der dreijährigen Tochter Constanze in die Bundesrepublik fliehen. Doch an der Grenzübergangsstelle Hirschberg entdecken DDR-Soldaten die „Republikflüchtlinge“ - die junge Familie wird auseinandergerissen. Was Eva-Maria Neumann damals noch nicht weiß: Es sollen fast vier Jahre vergehen, bis sie Ihre geliebte Tochter wiedersehen wird. Für die 26-jährige beginnen die schlimmsten Jahre ihres Lebens: sie wird nach Hoheneck gebracht.
21 Frauen hausen dort in einem Verwahrraum. Mit zeitweise mehr als 1.600 Insassinnen ist die Burg hoffnungslos überfüllt. Wer sich nicht an die strengen Regeln hält, wird in die alten Verliese der Burg gesperrt. Am meisten gefürchtet: die sogenannte Wasserzelle. Erstmals bestätigen ehemalige Häftlinge, dass die Zelle, in der Frauen stundenlang im Wasser stehen mussten, auch tatsächlich benutzt wurde.
Manuela Polaszczyk ist 20 Jahre alt, als sie ihre dreijährige Haftstrafe auf Hoheneck antritt. Sie wollte mit einer Freundin über die Ostsee in Richtung Bundesrepublik zu ihrem Vater fliehen. Der Fluchtversuch misslingt. Vierzehn Monate verbringt die junge Frau in Haft. Vierzehn Monate, die ihr Leben verändern und bis heute prägen. Sie erinnert sich: „Als ich dort ankam, war ich ein kleines, naives Etwas. Als ich rausging, habe ich mich gewundert, dass ich überhaupt noch lebe. Ich war um 50 Jahre gealtert. Geistig, körperlich, seelisch.“
20 Jahre nach dem Fall der Mauer begibt sich Manuela Polaszczyk auf die Spuren ihrer Vergangenheit. In den Stasi-Akten ihres Vaters, der vor ihr aus der DDR geflohen war, macht sie eine schmerzhafte Entdeckung. Verraten haben sie die Menschen, die ihr am nächsten standen.
Auf Hoheneck ist der Alltag der Häftlinge durch ein strenges Drei-Schicht-System geregelt. In den Produktionshallen im Südflügel müssen die Frauen Waren für den Westen produzieren – von der Damen-Strumpfhose bis zum Oberhemd.
Die Einhaltung der militärischen Disziplin überwachen Frauen wie Irina Kreuzer. Mehr als acht Jahre lang war sie als Aufseherin tätig. „Wir haben nur die Befehle ausgeführt“, rechtfertigt sie das strenge Regiment der Wärterinnen. „Die Häftlinge sind ja nicht ohne Grund verurteilt worden.“
Die Frauen von Hoheneck sind der Willkür der DDR-Führung hilflos ausgeliefert. Von ihren Büros im Verwaltungsgebäude der Burg steuert die Stasi den Einsatz von Spitzeln in den Zellen. Die als Schicksalsgenossinnen getarnten Frauen sollen den Häftlingen Namen von möglichen Komplizen entlocken. Um die politischen Häftlinge zu verunsichern, werden diese bevorzugt mit Mörderinnen in eine Zelle gesperrt.
Für manche wird die Zeit im Gefängnis so unerträglich, dass sie sich absichtlich verletzen, um auf die Krankenstation zu kommen: sie schlucken Löffel und Gabeln
oder schieben sich Nähnadeln unter die Haut.
Der Film erzählt auch eine bislang unveröffentlichte Geschichte vom Beginn der friedlichen Revolution in Leipzig. Im Februar 1988 ruft Angelika Kanitz in einem Flugblatt zu einer friedlichen Demonstration auf. Auf einer Seite bringt die damals 34-jährige Kellnerin ihren Unmut zu Papier. Sie schreibt: „Wir wollen lieber heute als morgen die DDR verlassen. Wir bitten nicht mehr, wir fordern, lasst uns hier raus !!!!“
Innerhalb weniger Wochen kommt die Stasi Angelika Kanitz auf die Spur. Das Flugblatt soll sie drei Jahre ihres Lebens kosten. Später wird sie von der Bundesrepublik freigekauft.
Dieses Glück hatte Ute Gesche nicht. Sie musste die volle Haftzeit als politische Gefangene absitzen – zwei Jahre und sechs Monate. Die Germanistikstudentin aus
Ostberlin verliebt sich im Dezember 1981 in einen Westberliner. Unter der Plane eines holländischen LKWs versucht sie ein Jahr später die Grenze zwischen Ungarn
und Österreich zu passieren. Doch der Plan wird verraten. Die Flucht von Ute Gesche entzweit ihre Familie. Der Vater, ein hoher NVA-Funktionär, wird in die Reserve versetzt. Bis heute überzeugt von der Idee des Sozialismus, bekennt er sich trotzdem zu seiner republikflüchtigen Tochter. Ihr Bruder – auch Offizier der NVA – bewachte die Mauer an der Bernauer Strasse in Berlin. Bis heute reden die Geschwister kaum miteinander.
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Die Hölle stand im Erzgebirge
Weil sie aus der DDR fliehen wollte, wurde Manuela Polaszczyk unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt.
Regensburg. Von Christian Kucznierz, MZ
Manuela Polaszczyk hat nur ein Wort, das auf das DDR-Frauengefängnis Hoheneck passt. „Hölle. Man ist in der Hölle.“ 15 Monate saß sie dort, in der 700 Jahre alten Burg im Erzgebirge, die schon vor DDR-Zeiten aufgrund ihrer katastrophalen Zustände berüchtigt war. Polaszczyk war eine von 1600 Häftlingen, eine der „Politischen“. Sie sitzen zusammengepfercht mit Gewaltverbrecherinnen, werden schikaniert von Wärterinnen, kontrolliert von Stasi-Spitzeln in den Zellen. Dabei hatte Manuela Polaszczyk nur einen Wunsch: „Ich wollte denken können, was ich will, und dieses Denken wollte ich auch aussprechen. Deswegen wollte ich aus der DDR raus“, erzählt die heute 45-Jährige. Diesen Wunsch musste sie teuer bezahlen.
1964, als sie ein halbes Jahr alt war, zieht die Familie von Sindelfingen im Westen in den Arbeiter- und Bauernstaat. Manuela Polaszczyk wächst in der DDR auf, fühlt sich aber nie dort wohl. Sie läuft bereits aus dem Kindergarten weg. Sie besucht die Schule, macht eine Ausbildung, will sich aber nie anpassen. Im Februar 1984 geht ihr Vater in den Westen. Allein. Angeblich will er wiederkommen. Was Manuela Polaszczyk nicht weiß: Er ist Stasi-Mitarbeiter. Für seine Reise nach Westen hat er seine Tochter als Pfand missbraucht. „Er hat der Staatssicherheit versprochen, dass er wiederkommen wird.“
Ihr Vater kommt nicht wieder. Manuela Polaszczyk weiß, was das bedeutet. Er ist geflohen, ihr droht die Haft. Als sie von Freunden erfährt, dass sie abgeholt werden soll, entschließt sie sich zur Flucht. Die Elbe war ihr zu gefährlich, die Mauer unüberwindbar. Manuela Polaszczyk war als Kind Leistungsschwimmerin und so kommt sie auf die Ostsee als Fluchtweg. Es ist der 18. Juli 1984, als der Versuch misslingt. Polaszczyk und ihre Freundin werden inhaftiert, am 23. Juli landet die damals 20-Jährige in Hoheneck. Urteil: Zwei Jahre, vier Monate.
Wecken um fünf, militärischer Drill bis abends um 10 Uhr. Dann Licht aus. An Schlafen war aber kaum zu denken. Da war die Angst, sagt Polaszczyk. Angst vor den Mithäftlingen, weil man als politischer Häftling Freiwild war. Hoheneck hatte eine sogenannte Wasserzelle, in der die Häftlinge stundenlang im Wasser stehen mussten. „Es gab Vergewaltigungen und Ähnliches, von dem heute niemand mehr etwas wissen will“, sagt Manuela Polaszczyk. Oder die Duschen. Sie erinnert sich: Das Wasser lässt sich nur von außen ein- und ausschalten. Man sperrt sie dort ein. Eine halbe Stunde kaltes Wasser in einer kalten Burg. „Versuchen Sie das mal“, sagt sie. „Da löst sich die Haut ab.“
Einige von Polaszczyks Leidensgenossinnen verletzten sich selbst, um wenigstens ein paar Tage in die Krankenstation zu kommen. Sie selbst hält durch. Einmal allerdings wird es knapp. Polaszczyk attackiert eine Wärterin, die besonders boshaft gewesen ist, wie sie sagt, versucht, sie über das Geländer zu werfen, sie zu töten. Polaszczyk wird gestoppt. „Eigentlich hätte ich dafür noch ein paar Jahre mehr bekommen müssen. Aber damals war schon klar, dass ich auf Transport komme.“ Auf Transport, das bedeutete, dass sie von der Bundesrepublik freigekauft wurde.
Fünfzehn Monate war sie in Hoheneck. Manuela Polaszczyk sagt, sie sei um 50 Jahre gealtert in dieser Zeit. Seelisch und körperlich. Am 11. September 1985 trifft sie in Gießen ein. Ihr Vater holt sie ab. Später zieht sie mit der Freundin, mit der sie fliehen wollte, nach Regensburg. Sieben Jahre verbringt sie hier, sehr glückliche Jahre, betont sie. 2006, an Weihnachten, erfährt sie aus den Akten, dass ihr verstorbener Vater in der DDR für die Stasi gearbeitet hat. Dass er Informationen verkaufte, ihren Freundeskreis bespitzelte. Dass ihre Stiefmutter für die Stasi arbeitete. Es ist der zweite Verrat, den Manuela Polaszczyk erfährt. Es ist etwas Hartes in ihrer Stimme, wenn sie davon erzählt.
Heute lebt Manuela Polaszczyk in der Nähe von Karlsruhe. Sie ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Lange habe sie nicht über das reden können, was ihr widerfahren sei, erzählt sie. Dann fing sie an zu schreiben. Heute sind es vier Bücher, in denen sie ihre Vergangenheit verarbeitet hat. Heute kann sie über alles sprechen, sagt sie. Auch über die Hölle.
Das Schicksal von Manuela Polaszczyk ist Thema bei Spiegel TV: „Die geheimen Schicksale der DDR-Frauen“, Heute, Samstag, 20.15 Uhr, Vox.
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14 Monate Haft im Frauengefängnis
13.11.2009 -
Manuela Polaszczyk ist 1964 in Sindelfingen geboren, aber schon nach wenigen Monaten mit ihren Eltern in die DDR gezogen. 1984 will die junge Frau in die Bundesrepublik fliehen, wird aber verraten, festgenommen und bleibt 14 Monate in Haft auf Burg Hoheneck im Erzgebirge, dem geheimen Frauengefängnis der DDR. Die „Spiegel TV“-Autoren Susanne Gerecke und Kay Siering haben in der Dokumentation „Unter Verschluss“, die am Samstag, 14. November, von 20.15 bis 22.15 Uhr auf Vox gesendet wird, unter anderem das Schicksal von Manuela Polaszczyk aufgegriffen, die 1987 noch einmal für ein halbes Jahr bei Verwandten in Sindelfingen gelebt hat und heute in Rheinland-Pfalz lebt.
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In der “Spiegel TV”-Dokumentation über das Frauengefängnis Hoheneck werden alle diejenigen Lügen gestraft, die auch heute noch das DDR-Unrechtregime in irgend einer Weise glorifizieren wollen. In den vergangenen 20 Jahren habe ich viel über die DDR gehört, gesehen, gelesen, mit Zeitzeugen gesprochen - und für Zeitungen oder im Radio darüber berichtet. Kaum zuvor hatte ich beim Thema DDR-Vergangenheit allerdings so ein beklemmendes Gefühl, wie am Samstagabend, als ich eher zufällig bei “VOX” die “Spiegel TV”-Dokumentation “Eingesperrt, um frei zu sein” sah. Die Autoren Susanne Gerecke und Kay Siering schildern darin hautnah, glaubhaft und beklemmend die Schicksale von Frauen, die aus politischen Gründen, zumeist wegen versuchter Republikflucht, in dem geheimen Gefängnis Hoheneck im Erzgebirge gefangen gehalten, gedemütigt, entwürdigt und auch gefoltert wurden.
15. November 2009.
Mir ist selbstverständlich seit langem bewusst, dass in den Stasi-Gefängnissen vielfach unmenschliche Zustände herrschten. Schon Ende November 1989 hatten mich Mitglieder des “Neuen Forums” in Schwerin mit kurz zuvor befreiten Untersuchungshäftlingen der Stasi zusammengebracht. Die zwei Frauen und drei Männer, die ich seinerzeit traf, machten Andeutungen über “schlimme Zustände”, die im Keller des früheren Bezirks-Hauptquartiers der Stasi in der heutigen Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern herrschten. Sie mochten damals allerdings (noch) nicht über Einzelheiten ihrer bis zu sechsmonatigen Untersuchungshaft sprechen.
In den folgenden Monaten und Jahren gerieten die Verbrechen des DDR-Regimes in den Medien zusehends in Vergessenheit - so mein Eindruck, zumindest aus heutiger Sicht. Es gab schließlich vermeintlich wichtigere Themen: die ersten freien Wahlen in der DDR, die Währungsunion, die deutsche Vereinigung, Landtagswahlen in den neuen Bundesländern sowie schließlich die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der deutschen Einheit.
Umso wichtiger und anerkennenswerter ist es deswegen, dass sich “Spiegel TV” in der rund zweistündigen Dokumentation “Eingesperrt, um frei zu sein” eingehend mit menschenverachtenden Methoden des DDR-Unrechtssystems befasst. Dargestellt wird darin unter anderem das Schicksal von Manuela Polaszczyk. Sie war gerade 20 Jahre alt, als sie in das Frauengefängnis Hoheneck kam, weil sie zuvor bei ihrem Fluchtversuch über die Ostsee gefasst wurde. In der Dokumentation berichtet sie von den Demütigungen und unmenschlichen Haftbedingungen, denen sie 14 Monate lang - bis zu ihrem “Freikauf” durch die Bundesrepublik - ausgesetzt war.
Die “Politischen” standen in der “Hierarchie” auf der untersten Stufe
Die Zellen in Hoheneck waren mit bis zu 21 Gefangenen belegt. In der “Hierarchie” der Anstalt standen die “Politischen”, zu denen auch Manuela Polaszczyk zählte, auf der untersten Stufe, weit hinter Mörderinnen und anderen Gewaltverbrechern. Brutale Übergriffe unter den Insassen waren nahezu an der Tagesordnung. Hinzu kamen Erniedrigungen und auch Folter durch das Aufsichtspersonal. Eine “beliebte Methode” der Wärterinnen sei gewesen, den Gefangenen die Enden von Gummiknüppeln auf die Wangen zu stoßen - so wurden sichtbare Verletzungen vermieden. Manuela Polaszczyk wurde nach eigenen Angaben stundenlang unter einer kalten Dusche angekettet und versuchte dabei verzweifelt wenigstens ihren Kopf den kalten Strahlen zu entziehen.
Auch weitere Mitgefangene berichten in der “Spiegel TV”-Doku von Foltermethoden in Hoheneck. Mindestens bis in die 70er Jahre wurden weibliche Gefangene selbst wegen geringer Verstöße in eine sogenannte Wasserzelle im Kellergewölbe des Burg-Gebäudes eingesperrt. Nach stundenlangem Stehen in mit Fäkalien durchsetztem eiskalten Wasser erlitten die Frauen nach Darstellung einer Ärztin immer wieder unglaublich schmerzhafte Nierenkoliken. Neben der physischer Gewalt wurden die Gefangenen in Hoheneck auch psychischer Folter ausgesetzt. Zum “Instrumentarium” des Aufsichtspersonals gehörten Beschimpfungen, Einzelhaft und nicht zuletzt der Entzug von Briefen der Angehörigen, die ohnehin höchstens einmal wöchentlich und nur nach ausführlicher Kontrolle durch die “Erzieherinnen” zugestellt wurden.
In der Dokumentation kommen auch zwei ehemalige Aufseherinnen zu Wort, die beide bestreiten, den Gefangenen jemals Gewalt angetan zu haben und sich heute auf eine Art “Befehlsnotstand” berufen: “Wir haben nur die Befehle ausgeführt”, rechtfertigt eine von ihnen das strenge Regiment der Wärterinnen. Obwohl die Haftanstalt offiziell dem DDR-Innenministerium unterstand, kamen die “Befehle” vor allem von der Staatssicherheit, die auch Spitzel in die Zellen einschleuste. Als Stasi-Spitzel wurde nach der “Wende” auch der Vater von Manuela Polaszczyk überführt, zu dem sie eigentlich über die Ostsee in den Westen fliehen wollte - eine besonders bittere Ironie des Schicksals.
Über ihre 14 Monate in Hoheneck sagt die tapfer wirkende Frau heute: “Als ich dort ankam, war ich ein kleines, naives Etwas. Als ich rausging, habe ich mich gewundert, dass ich überhaupt noch lebe. Ich war um 50 Jahre gealtert. Geistig, körperlich, seelisch.” Sie straft damit alle diejenigen Lügen, die auch heute noch das DDR-Unrechtsregime in irgend einer Weise glorifizieren wollen
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Stuttgarter Zeitung
09.02.2010
Autor Robin Szuttor
Verraten und Verkauft
Der Morgen dämmert über dem einsamen Strand von Boltenhagen. Nur der salzige Ostseewind, knisternde Dünen und Manuela Polaszczyk, die ihre Sachen in einen Strandkorb legt. Die schwachen Lichter am Horizont gehören zur Lübecker Bucht. Da will sie hin. Fast vierzig Kilometer sind es bis zum anderen Ufer. Ein irrwitziges Vorhaben. Dass selbst eine Leistungsschwimmerin wie sie bei diesem Wellengang ohne Chance sein dürfte, daran verschwendet sie in dem Moment keinen Gedanken. Vielleicht wird sie ja von einer Fähre aufgenommen. Davon hat sie schon gehört. Sie schwimmt los.
Nicht lange, dann erscheint das Patrouillenboot. Sie schwimmt weiter. Kein Zweifel, es steuert genau auf sie zu. Sie macht kehrt. Das Boot kommt näher. Als sie schon fast wieder an Land ist, sieht sie am Strand ein paar uniformierte Männer, die im Laufschritt auf sie zu kommen. Die 20-Jährige wirft sich in den Strandkorb. Glaubt, den DDR-Grenzern eine Urlauberin vorspielen zu können. Man führt sie sofort ab. „Wenn du versuchst abzuhauen, wird geschossen“, sagt einer. Alles aus.
26 Jahre später. Manuela Polaszczyk lebt jetzt in einer Kleinstadt bei Karlsruhe. Von ihrer gelb gepolsterten Wohnzimmer-Sitzgruppe aus blickt sie auf die Lärmschutzmauer der Bundesstraße. Ein Strauß gelber Narzissen auf dem Kiefernholztisch, flötende Keramikengel in den Regalen, Spitzweg-Bilder an der Wand: Die freundliche Zweizimmerwohnung lässt einen nichts von den Alpträumen ahnen, die sie hier immer wieder einholen.
An jenem Sommermorgen an der Ostsee wird der Republikflüchtling Manuela Polaszczyk auf das Polizeirevier von Boltenhagen gebracht. Sie sagt nichts. „Dir wird deine Sturheit noch vergehen“, sagt der Beamte. Man verfrachtet sie in die Stasi-Zentrale in Grevesmühlen, dann vor den Haftrichter. Sie bleibt bei ihrer Version, sie habe nur ein bisschen im Meer schwimmen wollen. Nächste Stationen sind die Gefängnisse in Rostock und Cottbus. Immer wieder muss sie stundenlange Verhöre über sich ergehen lassen. Mal sind die Beamten die Freundlichkeit in Person, mal brüllen sie nur. Als sie schließlich im Kreisgericht Lübbenau auf ihr Urteil wartet, hat sie Schläge, peinliche Untersuchungen und andere Erniedrigungen hinter sich.
Der Richter schickt sie zwei Jahre und vier Monate hinter Gitter. Eigentlich habe sie eine noch längere Strafe verdient, meint er. Etwas Unbeugsameres sei ihm noch nie begegnet. Bei der Ankunft am Bahnhof wird sie mit zwei anderen Frauen zusammengekettet und durch die Stadt zum Gefängnis geführt. Endstation: Hoheneck.
Die Geschichte der Burg Hoheneck im Erzgebirge reicht zurück bis ins 13. Jahrhundert. Im Jahr 1861 wurde hier die königlich-sächsische Weiberzuchtanstalt eingerichtet. Schon in der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und unter den Nazis saßen hier neben gewöhnlichen Kriminellen auch Oppositionelle ein. 1951 wurde Hoheneck wieder zum reinen Frauengefängnis umfunktioniert. Seit 1977 konnten die politischen Häftlinge von der BRD freigekauft werden. Mehr als 3,5 Milliarden Mark flossen so in die DDR-Staatskasse.
Manuela Polaszczyk ist jetzt auch eine „Politische“, sitzt in Zellen zusammen mit Mörderinnen und anderen Schwerstkriminellen. In intellektuellen oder kirchlichen Widerstandszirkeln war sie nie, sie beschäftigte sich nie groß mit politischen Theorien. Sie wollte einfach nur weg. Wie ihr Vater.
Der setzt sie als Zwölfjährige auf den Rücksitz seines Mopeds und fährt mit ihr nach Berlin, um in der BRD-Botschaft Asyl zu beantragen. Doch sie werden vorher abgefangen. Der Vater landet für einige Zeit im Knast. Und in Manuela wächst der brennende Wunsch abzuhauen. Abgesehen von einem dilettantischen Fluchtversuch mit 15 bleibt es vorerst bei dem Wunsch.
Februar 1984, Manuela Polaszczyks Vater darf für vier Tage in den Westen. Jeder wundert sich, warum ein Staatsfeind wie er in den Genuss solcher Privilegien kommt. Er kehrt nicht zurück. Seiner Tochter schreibt er, sie solle einen Ausreiseantrag auf Familienzusammenführung stellen. Von nun an ist sie voll im Visier der Stasi. Es folgen Hausdurchsuchungen, Visiten im Betrieb, Befragungen, Schikanen. Manuela Polaszczyk hält nichts mehr in der DDR, die sie nur noch als Gefängnis empfindet.
Was Gefängnis bedeutet, erfährt sie in Hoheneck. Bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur spricht man schon allein wegen der sanitären Verhältnissen oder der ständigen Kälte in den Burggemäuern vom „fiesesten Frauengefängnis in der DDR“. Manuela Polaszczyk nennt die Haftanstalt wahlweise „Hölle“ oder „Haus des Grauens“. Was sie in Hoheneck erlebt hat, deckt sich mit den Berichten der etwa fünfzig früheren Polithäftlinge, die im „Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen“ zusammengeschlossen sind.
Die Absonderungszellen: „Man merkte den Leuten an, wenn wie aus der teils wochenlangen Einzelhaft kamen. Die konnten in der ersten Zeit gar nicht mehr flüssig sprechen“, sagt Manuela Polaszczyk.
Die Arrestzellen: „Man bekam einen dünnen Overall an, die Matratze und die Decke wurden tagsüber herausgenommen. Man saß dann bis zum Abend zusammengekauert auf dem Tisch, da war es wärmer als auf der Eisenpritsche oder auf dem Boden.“
Die Duschstrafe: „Die Wärterinnen kamen, wenn alle in ihren Zellen waren. Dann hieß es nur: „mitkommen“. Ging es nach links, wusste ich schon Bescheid. Sie schraubten die Armaturen ab und stellten mich unter die Dusche, mal mit, mal ohne Kleider. Dann wurde ich angekettet und das Kaltwasser angestellt.“ Manuela Polaszczyk hält es bei der Schilderung nicht mehr auf dem Sofa, sie erzählt im Stehen weiter. „Am Anfang stehst du noch. Dann sinkst du immer mehr in dich zusammen. Zuerst denkst du: irgendwann muss es ja wieder aufhören. Nach einer Weile denkst du: irgendwann darfst du ja sterben. Dann denkst du irgendwann gar nichts mehr. Wenn sie fertig mit dir sind, ist alles taub, außen und innen. Du kannst nur noch zurück in die Zelle schlurfen.“
Aber da sind auch die alltäglichen Demütigungen: Wärterinnen, die sich über ihre Figur oder ihre Haare lustig machen. Die ihr sagen, sie bekomme den Brief vom Vater erst, wenn sie sich gebessert habe. Die sie mit dem Esslöffel das Bohnerwachs von den Böden kratzen lassen. Eine Mitgefangene bastelt aus Kleiderresten eine Blume. Die Wärterin wirft sie weg. „Alles Schöne hatte in Hoheneck keinen Platz“, sagt Manuela Polaszczyk. Manchmal steht sie am Fenstergitter und blickt auf die Landschaft. „Es klingt abgedroschen, aber ich wünschte mir da drin nichts sehnlicher, als ein Vogel zu sein und fliegen zu können.“
Ihre Stiefmutter, die ihr damals näher steht als ihre leibliche Mutter, besucht sie zweimal. „Das war Lichtblicke, auch wenn uns vorher eingeschärft wurde, über was wir uns auf keinen Fall unterhalten dürfen. Viel blieb da nicht mehr übrig.“
Eine Wärterin habe es in Hoheneck gegeben, die sei menschlich gewesen, sagt Manuela Polaszczyk. „Eine andere hatte es auf mich abgesehen, die wartete nur darauf, dass sie wieder eine Grund fand, mich fertig zu machen.“ Und einen Grund fand sie oft. „Ich habe auch in Hoheneck nicht meinen Mund gehalten“, sagt sie. Das ist im Rückblick ein Trost: „dass sie mich nicht klein kriegten“. Und doch hat die Wärterin bis heute einen festen Platz in ihren Alpträumen. Manches aus der Zeit in Hoheneck, sagt Manuela Polaszczyk, könne sie bis heute nicht erzählen.
Eines Tages sagt man ihr plötzlich, sie solle sich bereit machen. Sie darf raus. Über Wolfgang Vogel, Rechtsanwalt in Ost-Berlin und Unterhändler der DDR, ist ihr Freikauf ausgehandelt. Eine ganze Busladung geht an dem Tag in den Westen.
Es ist der 11.9.1985, als der Bus vor der Grenze steht. Manuela Polaszczyk ist nicht gerade in blendender Verfassung. Sie hat chronische Kopf-, Rücken- und Magenschmerzen. Wenn sie atmet, pfeift sie. Ein paar Zähne sind ausgefallen, sie sieht nur noch verschwommen. Aber hinter dem Schlagbaum ist das alles für kurze Zeit vergessen. Der ganze Bus jubelt und weint.
In den ersten Wochen traut sich Manuela Polaszczyk kaum unter Menschen. Es ist nicht einfach in der neuen Welt. Ihr Vater hilft ihr. Sie schweißt Lastwagenplanen und Bierzelte zusammen, arbeitet als Zimmermädchen in Hotels, verliert ihren Job – „weil ich nie lachte“. Sie macht eine Umschulung zur Einzelhandelskauffrau. Dann erfährt sie, was mit ihr seit einiger Zeit nicht stimmt: sie hat Multiple Sklerose.
Auch durch die Krankheit lernt sie langsam, sich mit Dingen auseinander zu setzen, die sie bisher verdrängte. Worüber sie früher „nur Rotz und Wasser heulte“, das schreibt sie nun auf. Tage- und nächtelang, Wochen und Monate. Je mehr sie zu Papier bringt, desto mehr Fragen tauchen auf. Sie beschließt, ihre Stasi-Akten anzufordern.
An Heilig Abend kommen die Kopien an. 400 Seiten. Sie setzt sich auf ihre Polstergarnitur und begreift, warum die Frau von der Birthler-Behörde ihr empfohlen hat, die Akten erst nach Weihnachten zu studieren. Manuela Polaszczyk liest den Namen ihrer Stiefmutter. Sie war ein Stasi-Spitzel. Sie hat Wort für Wort weitergegeben, was ihre Stieftochter Zuhause erzählte.
Und dann kommt es ganz dick. Sie liest den Namen ihres Vaters. Er auch. Er horchte sie über ihre Freunde aus, vereitelte deren Flucht, brachte so manche von ihnen ins Gefängnis. Manuel Polaszczyk liest privateste Dinge über sich in den Akten. Ereignisse, an die sie sich gar nicht mehr erinnert, werden auf einmal wieder gegenwärtig. Das Gedächtnis der Stasi vergisst nichts. Seit sie 16 war, dafür sorgte ihr Vater, führte sie ein gläsernes Leben.
„Er hat mich verkauft“, sagt Manuela Polaszczyk und zieht ein paar Seiten aus einem Stapel hervor. „Für gute operative Arbeit“ ist darauf zu lesen. Mal 50, mal 100 Mark Belohnung, quittiert mit der Unterschrift des Vaters. „Das ist so ein tiefer Schmerz, tiefer geht es nicht“, sagt Manuela Polaszczyk. Sie sucht immer noch nach einer Erklärung. „Ich weiß nicht, ob ich je wieder einem Menschen wirklich vertrauen kann. Ob ich je verstehen werde, was er mir angetan hat.“ Fragen kann sie ihren Vater nicht mehr. Er starb sieben Jahre, bevor seine Tochter ihre Akte öffnete.
„In der Hölle kann es nicht anders sein!“
Beeindruckender Vortrag bei der vhs-Rheinzabern
Welch eine Veranstaltung im Kleinen Kulturzentrum Rheinzabern! Zeitweilig hätte man eine Stecknadel fallen hören. Und welch ein Unterschied, ob jemand leibhaftig vor einem sitzt oder man ihn aus der Distanz über das Medium TV bei einem Glas Wein und Knabbereien erlebt. Die einstige Gefangene 11099, Manuela Polaszczyk, erzählt über ihr Leben als politischer Häftling im berüchtigten DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck. Unter Kindsmörderinnen musste sie es aushalten, bewusst gedemütigt und entwürdigt – wie es allen politischen Häftlingen in der DDR erging. Isolation, Drangsalierung, Kränkung waren System. Die permanente Ungewissheit über das, was kommt, machte kaputt. Die „Wachteln“, wie man das Wachpersonal nannte, scheuten auch nicht zurück, Manuela Polaszczyk im „Waschraum“ anzuketten und stundenlang eiskalt zu duschen – ganz abgesehen von noch mehr entwürdigenden Folterungen. Sie berichtet vom vergeblichen Bemühen um Freilassung, vom Freikauf nach dem umstrittenen von Franz Josef Strauß eingefädelten Kredit. Der „berühmte“ DDR-Anwalt Vogel wünschte „alles Gute“, als sie endlich 1985 ausreisen durfte. Im Westen trifft sie ihren Vater wieder, der eine unstete Biographie hinter sich hat, 1964 in die DDR gegangen, zwischenzeitlich als Politischer inhaftiert, dann wieder in den Westen gekommen war. Ihre Mutter lebt noch heute in Cottbus, Kontakt zu ihr gibt es keinen, sie hat bis heute noch keine Erklärung über ihr Verhalten abgegeben. Nie wurde über die Haft gesprochen. Er schwieg – auch weil er Angst vor Rache der Stasi fürchtete. Im Jahr 2002 organisiert sie für ihren Vater die Beerdigung. Drei Jahre später fordert sie – aus Neugier - ihre Stasi-Akte an und erfährt 2006: Viele aus ihrer Umgebung haben sie verpfiffen, vor allem aber: Ihr eigener Vater hatte sie an die Stasi verraten und dafür mehrmals Geld bekommen. Wieder bricht für Manuela Polaszczyk eine Welt zusammen. Sie schreibt sich einiges von der Seele, vier Bücher sind es mittlerweile. Später wird sie in Talkshows eingeladen und wirkt bei SPIEGEL TV oder beim Bayerischen Fernsehen mit. Heute ist für sie das Sprechen über die Erlebnisse wichtig: „In der Hölle kann es nicht anders sein!“, meint Manuela Polaszczyk, die das Urvertrauen in Menschen verloren hat. Die letzten Besucher des Abends verließen das KKUZ erst kurz vor 23.00 Uhr.
Zum Vertiefen der Materie sei auf das Interview mit Axel Bulthaupt im MDR verwiesen, das bei Youtube unter dem Stichwort Hölle im Stasi-Knast Hoheneck zu finden ist.
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Wozu Menschen fähig sind Verraten und verkauft
Etwas Schlimmeres, als vom eigenen Vater, der wichtigsten Bezugsperson ihres Lebens, an die Stasi verraten zu werden, konnte Manuela P. nicht passieren.
Autor: Ein Film von Peter Kropf Stand: 04.04.2012
Als Kind wurde sie von ihrer Mutter verstoßen und wuchs beim Vater in Calau nahe Cottbus auf. Der Vater war ihr Beschützer, ihr großer Held. Ihm vertraute sie blind. Sie ahnte nicht, dass der Vater ein Doppelleben führte. Seit Manuela 12 Jahre alt war, bespitzelte er seine Tochter und deren Freundeskreis. Jede Information, die ihm die Tochter im Vertrauen erzählte, gab er an die Stasi weiter. So wurden viele Fluchtversuche aus der DDR vereitelt. Die Freunde von Manuela wurden zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Einer nahm sich deshalb sogar das Leben.
Sein einziges Motiv: Geld
Manuela P. mit ihrem Vater
Manuelas Vater hatte für den Verrat an seiner Tochter nur ein Motiv: Geld. Er bot sich der Stasi als Spitzel an, mal für 50, mal für 100 Mark. Manuela ahnte von alledem nichts. Eines Tages setzte sich der Vater in den Westen ab. Seine Tochter ließ er allein zurück. Auch sie versuchte zu fliehen, wurde verhaftet und im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck bei Chemnitz inhaftiert. Hier wurde die junge Frau gefoltert. Sie ging durch die Hölle und wollte sich das Leben nehmen, so schrecklich waren die Monate in Hoheneck für sie. Manuela musste für die Republikflucht ihres Vaters büßen. Nach der Wende beantragte Manuela Einsicht in ihre Stasi-Akte und in die ihres Vaters. Da brach für sie eine Welt zusammen. Der über alles geliebte Vater hatte sie verraten und verkauft.
Wie kann man da verzeihen?